Seit dem 7. Juli 1880, als die erste Auflage des „Vollständigen Orthographischen Wörterbuchs der deutschen Sprache“ erschien, ist dieses Werk auch 140 Jahre später untrennbar mit einem Namen verbunden: Konrad Duden, dem 1829 geborenen Lehrer, Erzieher, Wissenschaftler, Rechtschreibreformer und Humanisten. Doch der Weg vom früheren Volkswörterbuch zum Standardnachschlagewerk für die deutsche Rechtschreibung war kein einfacher. Wie so oft in der Geschichte, gestaltete er sich langwierig und war von Kompromissen, Rückschlägen sowie politischen Einflüssen geprägt. Selbst die heutige Rechtschreibung entspricht nur sehr bedingt Dudens Vorstellungen von einer einfachen und zweckmäßigen Orthografie. Darum verstummen auch die Kritiker an der Rechtschreibreform von 1996 nicht. Dennoch gehörte Duden zu den Wegbereitern für eine einheitliche deutsche Rechtschreibung.
Der schwierige Weg zu einer einheitlichen Rechtschreibung
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Orthografie des Deutschen durch Uneinheitlichkeit, Willkür und verwirrende Vielfalt gekennzeichnet. Deshalb widmete Duden sein Leben und Werk drei Zielen: Er wollte eine einheitliche Orthografie schaffen, die vielen komplizierten und unzweckmäßigen Schreibweisen der Wörter vereinheitlichen sowie deren sprachgeschichtliche Herkunft erläutern. Als Duden 1869 zum Direktor des Schleizer Gymnasiums „Rutheneum“ berufen wurde, gab es nicht einmal dort unter der Lehrerschaft einheitliche Bewertungsmaßstäbe. So stellte er „Regeln zur deutschen Rechtschreibung“ auf, welche die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich zogen. Ergänzt um grundlegende Gedanken „Zur Orientierung über die orthographische Frage“ und ein alphabetisches Wörterverzeichnis veröffentlichte Duden 1872 die „Deutsche Rechtschreibung“, die als „Schleizer DUDEN“ in die Geschichte einging.
Mit der Reichsgründung 1871 erkannte auch die Politik, die Rechtschreibung einheitlich zu regeln. Der Dresdner Reichsschulkonferenz 1872 folgte 1876 die I. Orthographische Konferenz in Berlin, an der auch Duden teilnahm. Die dort gefassten Beschlüsse fanden Eingang in ein neues Regelwerk und Wörterverzeichnis. Mit persönlichen Vorbehalten und seinem politischen Einfluss verhinderte Otto von Bismarck (1815–1898) deren Einführung an den preußischen Behörden. Dem konservativen Reichskanzler gingen die von den Experten in Berlin gefassten Beschlüsse zu weit. Hernach blühte die regionale Vielfalt in den einzelnen Teilstaaten des deutschen Reiches auf, da sie eigene Regelwerke herausgaben. Von dieser Niederlage ließ sich der 1876 als Direktor an das Königliche Gymnasium in Hersfeld gewechselte Duden nicht entmutigen. Dort gab er unter Berücksichtigung dieser Regelbücher 1880 das „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ – den Ur-DUDEN – mit 28.000 Stichwörtern auf 187 Seiten heraus. Ein bedeutsamer Schritt für die Entwicklung der deutschen Rechtschreibung, allerdings weit zurück gegenüber den Ergebnissen der Berliner Konferenz.
Obwohl Bismarck die Anwendung dieser Rechtschreibregeln in seinen Behörden unter Strafe stellte, konnte er die Verbreitung des Volkswörterbuchs und der Rechtschreibregeln nicht aufhalten. In den Folgejahren erschienen von 1882 bis 1900 fünf ständig erweiterte Auflagen. Das preußische Unterrichtsministerium berief 1902 die II. Orthographische Konferenz ein, an der auch Vertreter aus Österreich teilnahmen. Die Schweiz war nicht dabei, bei den Eidgenossen wurden Dudens Regeln bereits 1892 verbindlich eingeführt. In der 7. Auflage setzte Duden 1902 die Ergebnisse der Berliner Konferenz im Wörterbuch um. Die erste für den ganzen deutschen Sprachraum einheitlich geregelte amtliche Rechtschreibung, die bis 1996 galt, verbreitete sich im gesamten deutschen Sprachraum. Bisher hatte Duden das gesamte Arbeitspensum, neben seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer und -direktor, alleine bewältigt. Zur Unterstützung seiner Arbeit stellte ihm das Bibliographische Institut (BI) Leipzig, welches Dudens Werke von Anfang an verlegte, nun redaktionelle Mitarbeiter zur Seite.
Kurz vor seinem Tode stellte Duden 1911 das Manuskript für die 9. Auflage fertig. Diese erschien 1915 ihm zu Ehren erstmals unter dem Titel „DUDEN • Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter“. Von nun an war es die Aufgabe der DUDEN-Redaktion, das Werk Konrad Dudens fortzusetzen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen drei Auflagen des DUDENs, geprägt vom Sprachgebrauch ihrer Entstehungszeit. Das BI Leipzig, mittlerweile in Volkseigentum umgewandelt, gab 1947 die 13. DUDEN-Auflage heraus, welche als Lizenzausgabe auch in den drei westlichen Besatzungszonen, in Österreich und der Schweiz gedruckt wurde. Nachdem 1951 ein „DUDEN Ost“ und 1954 ein „DUDEN West“ erschien, gab es rund 40 Jahre zwei Parallelausgaben. Beide Ausgaben zeigen unterschiedliche Entwicklungen im Wortschatz, weichen aber bezüglich der Rechtschreibung nur unwesentlich voneinander ab.
1991 gehen „DUDEN Ost“ und „DUDEN West“ mit der 20. Auflage im „Einheits-DUDEN“ auf. 1996 folgt nach der „Rechtschreibreform“ der „Reform-DUDEN“, in dem die neue deutsche Rechtschreibung umgesetzt wurde. Nach der Reform der Reform, offiziell „Neuregelungen der deutschen Rechtschreibung“ genannt, erscheint 2006 die 24. Auflage. Nun lag Duden seit jeher die Aufnahme neuer Wörter am Herzen. Doch 2013 hat es die DUDEN-Redaktion, die seit 2009 zur Unternehmensgruppe Cornelsen gehört, mit dieser Tradition übertrieben: Der DUDEN wurde zum „Sprachpanscher“ gewählt. „Der DUDEN ist zum Einfallstor für überflüssige Wörter aus dem Englischen geworden und liefert die beste Begründung dafür, auf Deutsch zu verzichten“, heißt es in der Begründung.
Konrad Dudens Andenken wird von der Arbeitsgruppe „dudenker“ des Geschichts- und Heimat-Vereins zu Schleiz in Ehren gehalten. Sie betreiben seit 2018 im Rutheneum ein Museum zu Dudens Leben und Wirken. Weitere Informationen zum Duden-Museum unter: www.rutheneum-schleiz.de
In der 27. Auflage von 2017 wurden alle Änderungen des amtlichen Regelwerks aus dem Sommer 2017 berücksichtigt. Mit 148.000 Stichwörtern – über fünf Mal mehr als im Ur-DUDEN des Jahres 1880 – auf 1.296 Seiten erschien im Jubiläumsjahr am 12. August 2020 die 28. Auflage. Mit Wortungetümen wie Alltagsrassismus, Binge-Watching, Concealer, downcyceln, Elektroscooter, Friday for Future, Funfact, helikoptern, ixen, Klimanotstand, Masernimpfung, Nudging oder rekuperieren entsprechen die Neuaufnahmen dem (politischen) Zeitgeist: „Mit 3.000 neuen Begriffen aus dem deutschen Sprachgebrauch ist der neue DUDEN noch umfangreicher und aktueller als die bisherigen Auflagen. Die 28. Auflage dokumentiert den aktuellen Stand der deutschen Rechtschreibung und gilt als Maßstab für korrekte Sprache“, lässt uns Dr. Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der DUDEN-Redaktion, wissen.
Der neue Rechtschreibduden enthält erstmals (vermeintliche) Hinweise zum gendergerechten Sprachgebrauch. Entgegen der amtlichen Rechtschreibregeln sei „zu beobachten, dass sich die Variante mit dem Genderstern in der Schreibpraxis immer mehr durchsetzt“ (DUDEN, 28. Auflage, Seite 113). Der VDS sieht die neue DUDEN-Ausgabe kritisch: „Der DUDEN lehnt sich damit weit aus dem Fenster”, kritisiert Prof. Walter Krämer, Vorsitzender des VDS, denn „viele Menschen nehmen das, was im Duden steht, für bare Münze und werden glauben, dass Gendersternchen und ähnliche Konstrukte echte Bestandteile der deutschen Sprache seien.” Auch die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) stellt in ihrer Pressemitteilung vom 13. August 2020 klar: Das Gendersternchen „eignet sich nicht, um genderneutrale Personenbezeichnungen zu bilden. Bei seiner Verwendung entstehen nicht nur grammatisch falsche Formen, auch den Regeln der deutschen Rechtschreibung entspricht das Sternchen nicht. Die GfdS rät daher ausdrücklich davon ab, das Gendersternchen und ähnlich problematische Formen zu verwenden.“
Zum Online-Wörterbuch des DUDENs gibt es mit dem digitalen lexikalischen System der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften eine Alternative: Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS).
Trotz alledem wird der DUDEN als das Standardnachschlagewerk in allen Fragen der Rechtschreibung anerkannt und ist ein unentbehrlicher Helfer bei grammatischen Schwierigkeiten – wie es von Anfang an Dudens Ziel war. Mittlerweile ist aber der DUDEN viel mehr: Es gibt gedruckte und digitale Wörterbücher, Nachschlagewerke, Ratgeber und digitale Services rund um die deutsche Sprache.
Text: Jörg Bönisch