Der Kulturpreis Deutsche Sprache wurde in diesem Jahr von der Eberhard-Schöck-Stiftung (Baden-Baden) und dem Verein Deutsche Sprache e. V. zum elften Mal vergeben. Nora Gomringer ist die zehnte Preisträgerin des Jacob-Grimm-Preises Deutsche Sprache.
„Seid ihr alle da?“ – Mit dieser Frage begann Nora-Eugenie Gomringer vor rund 400 Gästen in der Kasseler Stadthalle ihre mitreißende Darbietung und gab mit diesem Gedicht eine Kostprobe ihrer Vortragskunst. Jörg Thadeusz, Journalist, Moderator und Schriftsteller, würdigte die Leistungen der 31-jährigen in seiner Laudatio als „Königin des Poetry Slam“. Damit hat die Jury einmal mehr bewiesen, dass der Kulturpreis Deutsche Sprache eine Auszeichnung für zukunftsweisende, kreative sprachliche Leistungen ist. „Nora Gomringer erhält den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache, weil sie Gedichte geschrieben hat, die zeigen, dass die deutsche Sprache ein Werkstoff ist, der glänzen und strahlen kann, wenn man ihn richtig bearbeitet. Sie bekommt diesen Preis, weil sie sich in der internationalen Jugendbewegung engagiert hat und Poetry Slam betreibt. Sie hat gezeigt, dass es ein Vorurteil ist, wenn behauptet wird, die jungen Leute interessierten sich in Deutschland nicht für ihre Sprache, unsere gemeinsame Sprache“, erläuterte Helmut Glück, Sprecher der Jury des Kulturpreises deutsche Sprache. Nicht zuletzt steht diese Form der Lyrik ganz besonders für einen verantwortlichen und schöpferischen Umgang mit unserer Muttersprache, ganz im Sinne der Eberhard-Schöck-Stiftung: Der Förderung eines kulturellen und sprachlichen Selbstbewusstseins in einer demokratischen, offenen und europäisch orientierten Gesellschaft. So sieht sich Gomringer nach eigenen Worten für alle Vertreter der deutschen Slam-Szene ausgezeichnet.
Der Begriff Poetry Slam ist Sprachfreunden natürlich ein Dorn im Auge. Deshalb hatte die Jury des Kulturpreises Deutsche Sprache im Frühjahr dazu aufgerufen, ihr Vorschläge für einen deutschen Begriff zuzusenden. Den Juroren ging es um eine originelle und treffende Entsprechung, nicht um einen durchsetzungsfähigen Ersatz. Diesen könne es gar nicht geben, denn die internationale Gemeinschaft identifiziert sich mit dem Begriff Poetry Slam und würde keinen Ersatz zulassen. Die Kreativität im Umgang mit Sprache habe im Mittelpunkt der Suche gestanden, wie es ja auch beim Poetry Slam der Fall sei, erklärte die Jury. Mehr als 400 Einsendungen bewiesen Einfallsreichtum und Sprachbewusstsein wie Wortbewerb, Dichtfest oder Lyrikgipfel. Überzeugt hat am Ende das Wort Lyrelei, vorgeschlagen von Miriam Lehmann aus Leipzig.
Den Initiativpreis Deutsche Sprache erhielt der Philosoph Prof. Dr. Dieter Schönecker, der an der Universität Siegen lehrt. „Er bekommt ihn dafür, dass er sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Wissenschaftssprache Deutsch in seinem Fach, der Philosophie, einsetzt. Für ihn ist es selbstverständlich, die Texte von Kant, aber auch von Hegel und Schopenhauer, im deutschen Original zu lesen, zu ergründen und in Seminaren zu behandeln. Das ist leider in vielen philosophischen Institutionen in Deutschland inzwischen anders“, so Glück. Der Preisträger beschreibt das Dilemma in der Wissenschaftssprache so: „Durch die Dominanz der englischen Sprache meinen diejenigen, die sie als Muttersprache sprechen, sie müssten keine andere Sprache mehr erlernen. Und die, deren Muttersprache nicht Englisch ist, verleugnen aus Sorge um akademischen Bedeutungsverlust ihre eigene Muttersprache. Die Philosophie der letzten 250 Jahre wurde maßgeblich durch deutsche Texte beeinflusst. Es gibt also einen guten wissenschaftlichen Grund, Deutsch zu lernen.“
Der Institutionenpreis Deutsche Sprache ging an die Deutschlandstiftung Integration. „Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen mit Migrationshintergrund zu bestärken, die deutsche Sprache zu lernen. Sie ist der Meinung, dass die Beherrschung der deutschen Sprache die unverzichtbare Grundlage für gelingende Integration ist“, erläuterte Glück. In ihrer Laudatio hob Felicitas Schöck von der Eberhard-Schöck-Stiftung hervor: „Sprache ist der Schlüssel, der den Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen ermöglicht. Und Dialog ist der Schlüssel, der Toleranz und friedliches Zusammenleben ermöglicht.“
Bertram Hilgen, Oberbürgermeister der Stadt Kassel, freut sich in seinem Grußwort zur Veranstaltung, dass Kassel der Austragungsort für die Verleihung des Kulturpreises Deutsche Sprache ist: „Heute wird in Kassel im Rahmen der elften Preisverleihung zum zehnten Mal der Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache verliehen. Kassel ist und bleibt der richtige Ort für die Preisverleihung, weil Kassel sich natürlich als die heimliche Grimm-Hauptstadt begreift. Zumal die Brüder Grimm selbst ihre Kasseler Zeit in besonderer Weise gewürdigt und herausgehoben haben.“ So ist es eine Tradition, dass sich die Jacob-Grimm-Preisträger beim anschließenden Empfang in das „Goldene Buch” der Stadt Kassel eintragen, was auch Nora Gomringer tat.
Text und Fotos: Jörg Bönisch